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swiss-list: AZ Kolumne

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swiss-list: AZ Kolumne

From: Sarah Paris <click for textversion of email address >
Date: Wed, 27 Mar 2002 13:57:31 -0800
X-Mailer: Microsoft Outlook IMO, Build 9.0.2416 (9.0.2910.0)

A number of people have asked about the column I wrote, which mentions the
swiss-list, saying that the could not find it on-line. To make things
easier, I have attached it below for those who are interested.
sp

© Aargauer Zeitung / MLZ; 2002-03-26; Seite 2

Piazza

Der Blick aufs Mittelland

sarah paris
Das Grossartigste, was ein Mensch in dieser Welt vermag, ist zu sehen und
auf schlichte Art zu erzählen, was er sah», sagte einst der Philosoph John
Ruskin. Ein bekannter Schweizer Schriftsteller ist kürzlich durchs
Mittelland gereist, um es «mit frischen Augen» zu sehen. In einem
renommierten Magazin fasste er seine Eindrücke folgendermassen zusammen:
«Ein Landstrich, der so aussieht, als hätte ein schlampiger und schlecht
gelaunter Gott ihn geträumt.»

Ist es nicht bemerkenswert, dass das menschliche Auge überall in der Welt
nach demselben Prinzip funktioniert und wir doch alle ganz anders sehen?
Hätte man zwölf Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus zwölf Ländern zur
Erkundung ins Mittelland geschickt, hätten sie alle etwas anderes berichtet.
Kein Wunder, dass auf der Welt so viel Streit herrscht, wenn der eine rot
sieht und die anderen schwarz. Das Problem dabei sind unsere Brillen. Nicht
jene auf der Nase, sondern jene im Kopf. Das Licht, das von aussen
hineindringt, muss durch so viele Scheiben strahlen, dass es am Ende nur
noch trüb leuchtet. Mittelland-Betrachter Urs Widmer gibt zu, dass seine
Wahrnehmung nicht der Wirklichkeit entspreche. Er habe das Gefühl gehabt,
sich in einer Art Vision zu bewegen, schreibt er.

Visionen sind nicht statisch, sie orientieren sich am Gemütszustand und an
der Brillenfarbe. Als ich im Mittelland Kind war, hatte meine Welt eine
ganze Palette an Farben, vom grüngelben Frühling bis zur blauweissen
Weihnacht. Als Teenager schien mir diese Welt grau und neblig. Der
Mittelland-Nebel sei der dichteste weltweit, schrieb Widmer. Ich möchte ihm
versichern, dass an gewissen Abenden der Nebel in San Francisco um einiges
dichter ist als an der Aare.

Aber über den eigenen Mist kann man am elegantesten schimpfen. Das ist mir
in meiner ersten Zeit in den USA auch nicht anders ergangen. Fragte man mich
nach meiner Herkunft, machte es mir grossen Spass, das Klischee von der
«Ansichtskarten-Schweiz» zu zerfleddern und meine Heimatstadt als
«Industriekaff» zu bezeichnen, dem ich ohne Reue entflohen war. Womit ich
mich als Kalifornierin immatrikulierte. Die meisten Kalifornier sind einer
anderen Welt entflohen, einem Dorf im Mittelwesten oder einer
russgeschwärzten Industriestadt im Osten. Genau so «wie Buffalo im Staate
New York» sei meine Heimatstadt, behauptete ich, ohne Buffalo jemals gesehen
zu haben. Als mein damaliger Ehemann mit mir die Schweiz besuchte, wanderte
er sprachlos durch meine Heimatstadt. «Buffalo!», rief er schliesslich aus.
«Du hast ja keinen blassen Schimmer.» Und wies auf die schmucken Vorgärten,
die mächtigen Kastanienbäume und den Jura dahinter. «Siehst du nicht, wie
schön das hier ist?»

Komplimente machen Schweizerinnen und Schweizer misstrauisch. Sagt uns
jemand, «Das ist schön», erwidern wir: «Ja, aber . . .» Uns selber und
andere zu kritisieren, fällt viel leichter. Doch am ergiebigsten ist es, die
Kritiker zu kritisieren. Dann hat man sowohl die Freude des Kritisierens als
auch die moralische Überlegenheit des Nicht-kritisieren-Wollens (richtig,
wie in dieser Kolumne). Letzthin diskutierten meine Exilgenossen auf dem
Internetforum der USA-Schweizer (www.swiss-list.com) die Frage, ob die USA
tatsächlich das «grossartigste Land der Erde seien». Jene Behauptung führte
zu einer hitzigen Diskussion der Vor- und vor allem Nachteile der USA
(Fastfood, Todesstrafe, schlechte Betten) und der negativen Seiten der
Schweiz (Füdlibürger und Nörgler). Am Ende kamen die Ami-Nörgler unter
schweren Beschuss von einer Amerikanerin: Sie fand, wir sollten uns schämen,
unser Gastland so negativ anzusehen.

Ich könnte nun die Kritikerin der Kritik kritisieren -- aber eigentlich hat
sie schon Recht. Wie auch jene, welche die USA-Politik kritisieren, und
jene, die finden, Amerika sei ein grossartiges Land. Und wie Urs Widmer, der
ganz klar erkannte, dass Mittelländer ihre Sätze gerne mit «eigentlich»
beginnen. Eigentlich bin ich gerne eine «Mittelländerin», denn ich denke,
wer in der Mitte verweilt -- das erkannte schon Buddha -- hat Perspektive
und Distanz zu den extremen Höhen und Tälern. Um nicht zu sagen: die
schönste Aussicht sowohl auf den Jura als auch auf die Alpen.

Ah, diese Aussicht, wenn sich der Nebel lichtet! Aber was sehen wir
wirklich? Im Feldstechergucken, im Prüfen und Kritisieren sind wir
Weltmeister. Doch wer nur mit den Augen und dem Hirn sieht, dem entgeht das
Wesentliche. Denn das Wesentliche, wie Saint-Exupéry im Buch «Der Kleine
Prinz» gesagt hat, «ist für die Augen unsichtbar». Man sehe nur mit dem
Herzen gut.

Sarah Paris, aufgewachsen in Grenchen, lebt als Journalistin und
Schriftstellerin in Kalifornien. Ihr Roman «Ahnenbeschwörung» spielt (nicht
nur) im Mittelland.

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Received on Wed Mar 27 2002 - 23:00:52 PST

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